Die Schuldfähigkeit substanz- und glücksspielabhängiger Täter bei Beschaffungsdelikten.
Eine Integration der Ergebnisse neurowissenschaftlicher Suchtforschung in die Schuldfähigkeitsbeurteilung nach kompatibilistischem Verständnis.
von Paul WisselTrotz beachtlicher Fortschritte in der Suchtforschung hält der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung seit Jahrzehnten unverändert an der These fest, dass Abhängigkeitsstörungen die Schuldfähigkeit des Täters bei Beschaffungsdelikten grundsätzlich nicht beeinträchtigen können. Dazu statuiert er ein Konzept von Ausnahmen, deren Anwendung erhebliche Probleme aufwirft. Diesem Ansatz stellt Paul Wissel ein neues, die aktuellen Erkenntnisse neurobiologischer Suchtforschung integrierendes System gegenüber. Unter Zugrundelegung eines Begriffs von Schuldfähigkeit, der mit der Unbeweisbarkeit von Willensfreiheit im indeterministischen Sinne kompatibel ist, werden die Kriterien für die verschiedenen Schritte der Beurteilung einer Substanz- bzw. Glücksspielabhängigkeit herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass Abhängigkeitsstörungen hinsichtlich nicht besonders schwerwiegender Beschaffungstaten regelmäßig zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führen.»The Culpability of Substance- and Gambling Addicted Persons in Procurement Offences. An Integration of the Results of Neuroscientific Addiction Research into the Assessment of Guilt According to Compatibilistic Understanding«
In contrast to the jurisdiction of the Federal Court of Justice, Paul Wissel develops a new approach to the assessment of the culpability of substance- and gambling addicted persons in procurement offences. Starting from a concept of culpability that is compatible with the unprovability of freedom of will in an indeterministic sense, he addresses current findings in neurobiological addiction research and elaborates the criteria for the assessment of addiction.