Einführung in die Geo-Archäologie des Vorderen Orients
von Werner Nützel
Die Ergebnisse archäologischer Forschungen im Vorderen Orient werfen verschiedene grundsätzliche Fragen auf, denen in diesem Buch nachgegangen wird. Eine der Fragen ist z. B., warum alle Ausgrabungsstätten der mesopotamischen Alluvialebene heute weitab von Euphrat und Tigris in der Wüste liegen, eine andere z. B., warum in der Vorstufe der Sesshaftwerdung des Menschen im Fruchtbaren Halbmond dieser völlig unbesiedelt war, wohingegen die südlich gelegenen Wüsten besiedelt waren; oder, warum die südkaspischen neolithischen Höhlen, in denen zahlreiche Seehundrelikte gefunden wurden, heute 70 m über dem Seespiegel liegen. Noch diffiziler gestalten sich die Fragen nach dem Verlauf der antiken Küsten oder gar nach der Herkunft der Sumerer.
Nur auf archäologische Forschungen gestützt, wird man darauf keine befriedigenden Antworten finden. Bezieht man aber geo-wissenschaftliche Forschungen, wie z. B. die der Klimatologie, der Eiszeitforschung, der Hydrologie, der Meeresgeologie, der Geomorphologie, oder auch die Humanbiologie und alte Reiseberichte mit ein, so kann manche Frage beantwortet oder zumindest ein diskussionswürdiges Denkmodell entwickelt werden.
Zum Aufbau des Buches:
Teil A spricht grundsätzliche Themen an, wie den Verlauf der Regenfeldbaugrenzen heute und in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, die abgekapselte Lage der grossen mesopotamischen Alluvialebene, das mesopotamische Fluss-System und damit die Frage, welche Regionen des Orients, sowohl auf der Basis des Regenfeldbaus als auch auf der des Bewässerungsfeldbaus, besiedlungsfähig waren und sind.
Teil B, der Hauptteil, befasst sich – verbunden mit einem jeweiligen historischen Abriss – in chronologischer Folge mit den, dem Verfasser aufgefallenen, offenen Fragen der Archäologie, die unter Einbeziehung geo-wissenschaftlicher Erkenntnisse einer Abklärung zugeführt werden könnten. Wechselnde Klimabedingungen und damit Vergrösserungen oder Verkleinerungen der Siedlungsregionen, Änderungen des Fluss-Systems, eustatische Golfspiegeländerungen und die aufgetretenen Versalzungsprobleme haben hierbei in der Darstellung besonderes Gewicht.
Teil C, die antiken Küstenverläufe Mesopotamiens betreffend, wurde deshalb gesondert abgehandelt, weil dieses Thema einer doch sehr umfangreichen Besprechung bedarf. Neben den durch Radiocarbonwerten abgesicherten Golfspiegelbewegungen fliessen hier Berichte aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend bis in die Neuzeit ein.
Teil D ist der Versuch, eine Kernfrage der vorderasiatischen Archäologie zu beantworten, warum die erste Hochkultur unserer Erde ausgerechnet in Mesopotamien entstand.
Zahlreiche Abbildungen und Tabellen veranschaulichen die Darstellung und unterstützen den Text; Zusammenfassungen im Text sowie Zeittafeln im Anhang sollen die Orientierung in der komplexen Materie erleichtern.
Die Darstellung ist als Einleitung und Versuch einer Orientierung zum Thema gedacht; historische Abrisse, Zusammenfassungen sind daher nicht so sehr für den Fachwissenschaftler als für diejenigen Leser gedacht, die mit der Materie bisher nicht befasst waren.
Dieses Buch basiert auf den Ergebnissen mehrerer Expeditionen des Verfassers in den Vorderen und Mittleren Orient sowie der Auswertung von über 500 geo-wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema.