Zweisprachige Geschichtsschreibung im spätmittelalterlichen Deutschland
Der Sammelband faßt Forschungsergebnisse zusammen, die unter der Leitung des Herausgebers im Würzburger historischen Projekt des SFB 226 erarbeitet wurden. Erstmals wurden zugleich lateinisch und deutsch überlieferte Geschichtswerke aus den letzten eineinhalb Jahrhunderten des Mittelalters systematisch erfaßt und an ausgewählten Beispielen auf bestimmte Kriterien hin untersucht. Die Frage, der der Band nachgeht, ist, ob unterschiedliche Geschichtsbilder und Informationen in verschiedensprachigen Fassungen auf unterschiedliche Weise verbreitet wurden, wer jeweils an der Verbreitung des historischen Wissens beteiligt war und ob es in der einen oder anderen Sprache in bestimmten Sachbereichen Vermittlungsprobleme gab. Monographisch untersucht werden hierzu aus Norddeutschland die Chronica Novella des Dominikaners Hermann Korner und das zweisprachig gedruckte anonyme Lübecker Chronicon Slavicum. In Süddeutschland liegt der Untersuchungsschwerpunkt mit der Dynastie- und der Weltchronik des Andreas von Regensburg, der Dynastiegeschichte des Veit Arnpeck und der Nürnberger Stadtchronik des Sigismund Meisterlin in Bayern und Franken. Schließlich verfolgte der Herausgeber in einer weiteren Studie das sprachliche Wechselspiel zwischen Latein und Deutsch bei der Entwicklung einiger Stoffkomplexe der Steirischen Reimchronik des 14. Jahrhunderts, die dann mehrere Stufen mit mehrfachen sprachlichen Umsetzungen hinweg bis zum Ende des 15. Jahrhunderts weitertradiert wurden.
Zur Erfassung des Publikums der verschiedensprachigen Fassungen wurden Daten zu allen mit den Texten in Verbindung stehenden Personen erfaßt. Es zeigt sich, daß die Weltchroniken stärker als andere Gattungen dem lateinischen und damit dem gelehrten Bereich verhaftet bleiben. Anders die Dynastie- und Stadtchroniken: Diesen politisch integrativ wirkenden Gattungen gehörte die Zukunft.
Die Frage nach sprachlichen Disparitäten und Vermittlungsproblemen wird, unter Bezug auf zeitgenössische politische, soziale u.a. Entwicklungen, in einer werkübergreifenden Studie zu den Bezeichnungen der mittelalterlichen Adelsschichten angegangen. Darüber hinaus wird in den Beiträgen die Terminologie für das Gemeinwesen, die Rechtsterminologie sowie die Begrifflichkeit im Bereich von Kirche, Wissenschaft und Alltag untersucht. Ein Editionsteil mit Texten aus dem Umfeld der untersuchten Chroniken sowie der Abdruck der prosopographischen Datenbank runden das Buch ab. Der Band zur zweisprachig überlieferten Geschichtsschreibung zeigt, daß es auch bei der Gattung der Chroniken im 14./15. Jahrhundert ein reges sprachliches Wechselspiel zwischen dem Lateinischen und dem Deutschen gab. Er läßt dessen Spielregeln, die historischen, sozialen und kulturellen Hintergründe erstmals deutlich und differenziert hervortreten.