Humanitäre Hilfe und staatliche Souveränität
Humanitäre Hilfe – gewaltsame Intervention – politische Neutralität, mit diesen Begriffen ist das Spannungsfeld bezeichnet, das für die gegenwärtig weltweit immer häufiger und immer ausgedehnter zu leistenden Hilfsmaßnahmen in Katastrophen- und Krisengebieten konstitutiv ist. Gleichzeitig sind damit zentrale Diskussionsfelder einer intensiven interdisziplinären und internationalen wissenschaftlichen Diskussion benannt, an der insbesondere Juristen und Völkerrechtler, Politologen und Historiker beteiligt sind. Die zentralen Frage lauten: Gibt es eine allgemein gültige „Schutzverantwortung“ (responsibility to protect), die notfalls gewaltsame Interventionen auch mit militärischen Mitteln rechtfertigt? Ist ‚the end of Westphalian system‘ (Henry Kissinger) und damit die Relativierung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates erreicht?
Münster, die Stadt in der 1648 das internationale Vertragswerk des Westfälischen Friedens unterzeichnet worden ist, auf dasdieses völkerrechtliche Prinzip zurückzuführen ist, bemüht sich seit einigen Jahren in Anknüpfung an die mehr als vier Jahre dauernden Verhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges als Stadt der ‚Dialoge zum Frieden‘ Profil zu gewinnen; das heißt konkret, sich als Veranstalter und Veranstaltungsort für Fachtagungen und Kongresse zum Themenkomplex „Konfliktregelung, Krisenprävention und Friedenssicherung durch Verhandlung und Dialog“ sowie als organisatorische Drehscheibe für die Koordination von Hilfseinsätzen und deren Vor- und Nachbereitung überregional und international zu positionieren.
Einen der Höhepunkte unter den bisherigen Veranstaltungsprogrammen stellte der 1. Münstersche Kongress zur Humanitären Hilfe dar, der am 20. Mai 2011 im Historischen Rathaus zu Münster unter Federführung des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe unter der Titelformel „Internationale Soforthilfe – eine Gratwanderung“ unter großer überregionaler und internationaler Beteiligung durchgeführt worden ist. Die Tagungsbeiträge sind in diesem Band zusammen mit den Texten vorbereitender Vorlesungen sowie einem Interview mit Roméo Dallaire, dem kanadischen Senator und ehemaligen Kommandeur der UN-Truppen im Ruanda-Konflikt von 1994, veröffentlicht.