Praesentia Dei
Die Vorstellungen von der Gegenwart Gottes im Hiobbuch
von Roger Marcel WankeDas Hiobbuch ist nach wie vor ein wichtiges Thema der alttestamentlichen Exegese. Als Beispiel für ein kritisches Weisheitsbuch ist es durch einen sehr komplizierten Entstehungsprozess gekennzeichnet. Die Forschungsdebatte um die Entstehung des Hiobbuches involviert zahlreiche literarische Fragestellungen, die ihrerseits eine Vielfalt redaktioneller Ansätze bedingen, welche den Entstehungsprozess des Buches zu rekonstruieren versuchen. Die vorliegende Studie fußt auf aktuellen redaktionsgeschichtlichen Forschungsbeiträgen. Der Autor versucht im Rahmen einer umfassenden Untersuchung der Traditions- und Redaktionsgeschichte des Hiobbuches eine Redaktionsschicht – „kritisch-theologische Redaktion“ – herauszuarbeiten, die besonders der Frage nach der Vorstellung von der Gegenwart Gottes nachgeht. Die „kritisch-theologische Redaktion“ des Hiobbuches ist sowohl literarisch als auch traditionsgeschichtlich für die Verknüpfung von Rahmenerzählung und Dichtung verantwortlich. Drei Bearbeitungen – eine kultkritisch, eine weisheitskritisch und eine rechtskritisch – reflektieren im Horizont der Krise der Weisheit und der nachexilischen Theologiebildung über die absentia und absconditas Dei. Dabei konzentriert sich die Untersuchung nicht auf die unterschiedlichen Hiobgestalten im Kontext des ungerechten Leidens, sondern vielmehr auf das problematisierte und unerklärte Gottesbild. Diese neue Frageperspektive ermöglicht gleichzeitig, neueste Ergebnisse der Psalmenforschung in die Hiobexegese einzubringen. Praesentia Dei zeigt vor allem, dass das zentrale Thema des Hiobbuches weder das Leid des Gerechten noch die Theodizee ist, sondern ein kritischer Reflexionsprozess über das Gottesbild. Hiob erfährt nicht den Sinn des Leidens, sondern den Sinn des Lebens – JHWH allein.