Die Abstraktheit der Vollmacht.
Zur mangelnden Begründbarkeit eines bürgerlichrechtlichen Lehrsatzes.
von Ruth DoernerDie Vollmacht als rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht gilt im deutschen Bürgerlichen Recht als abstrakt von dem ihr zugrunde liegenden Grundverhältnis. Der Grundsatz der Abstraktheit der Vollmacht wird in der Praxis jedoch vielfach durchbrochen und erweist sich bei genauerem Hinsehen als entbehrlich. Ausgehend von den historischen und dogmatischen Grundlagen des stellvertretungsrechtlichen Abstraktionsgrundsatzes im deutschen Zivil- und Handelsrecht entwirft die Arbeit auf der Basis des geltenden Rechts ein Gegenmodell zu der Abstraktheit der Vollmacht. Dieses Modell beruht auf der Anerkennung der Außenerklärung des Vertretenen über die Vertretungsmacht seines Stellvertreters als rechtsgeschäftliche Zusicherung gegenüber dem gutgläubigen Dritten. Der im Stellvertretungsrecht erforderliche Verkehrsschutz wird damit einheitlich mittels des Gutglaubensschutzregimes der §§ 170 ff. BGB hergestellt und anders als die Abstraktheit der Vollmacht privatautonom legitimiert. Eine Sonderrolle nimmt dabei die Prokura ein.»The Abstractness of the Authority under German Civil Law«
The principle of abstractness of the authority (»Vollmacht«, i.e. the power of agency granted by a legal transaction) under German Civil Law is oftentimes ignored in practice and – on a closer look – ultimately dispensable. Starting from a historical and dogmatic point of view, this analysis shows that the protection of legal relations can be sufficiently and consistently achieved by means of the good faith protection rules laid down in Sec. 170 et seq. of the German Civil Code and legitimated under the principle of private autonomy. Different rules, however, apply to the general commercial power of representation (»Prokura«).