Der Vorrang des Europarechts und die verfassungsrechtlichen Grenzen der Integration
unter besonderer Berücksichtigung der Ultra-Vires-Kontrolle
von Claudia SoremskiIn seinem viel beachteten Urteil vom 5. Mai 2020 zur deutschen Beteiligung am europäischen „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) attestiert das Bundesverfassungsgericht Organen der Europäischen Union erstmals ein kompetenzwidriges und damit rechtswidriges Handeln.
Die besondere Brisanz des Urteils zeigt sich in der gleich zweifachen Feststellung von Kompetenzüberschreitungen: Einmal erklärt das Bundesverfassungsgericht Beschlüsse der unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB) für unionsrechtswidrige Ultra-vires-Akte. Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht die Letztentscheidungskompetenz des Europäischen Gerichtshofs infrage, der zuvor die Rechtmäßigkeit der EZB-Beschlüsse bestätigt hatte.
Das Urteil löste im In- und Ausland unzählige, teils heftige Reaktionen aus. Dem Bundesverfassungsgericht wurde vorgeworfen, es untergrabe die Autorität des Europäischen Gerichtshofs. Wegen einer möglichen Vorbildwirkung des Karlsruher Urteils für andere Mitgliedstaaten hielten kritische Stimmen sogar die europäische Rechtsgemeinschaft für gefährdet und forderten die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland. Nicht nur in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem PSPP-Urteil daher eine historische Bedeutung zu.
Claudia Soremski hat das Urteil zum Anlass genommen, die Ultra-vires-Kontrolle von Akten der Europäischen Union kritisch zu beleuchten. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist die ebenso klassische wie aktuelle Fragestellung nach dem Vorrang des Unionsrechts, konkret nach seinen Geltungsgründen und seinen Grenzen.
Unter umfassender Würdigung des Schrifttums und der Standpunkte der politischen Akteure arbeitet die Autorin verschiedene Konfliktlinien zwischen der bundesverfassungsgerichtlichen und der Unionsrechtsprechung heraus. Dabei richtet Claudi Soremski einen Fokus auf das „Kooperationsverhältnis“ zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof, das durch den „Paukenschlag aus Karlsruhe“ zu einem „Spannungsverhältnis“ zu werden droht.