Freier Wille und Therapie
Erörterungen zu Sprachspiel und Handlungslogik in der Straftäterbehandlung
von Thomas ThalmannStraf- und Strafvollzugsgesetz sehen in mehreren Paragraphen die kriminaltherapeutische Behandlung der Verurteilten vor. Für Strafgefangene mit bestimmten deliktischen Hintergründen und Sicherungsverwahrte soll die Zeit in der Vollzugsanstalt genutzt werden, die Legalprognose zu verbessern. Bei unvermindert Schuldfähigen gerät dieses Unternehmen in ein eigentümliches Spannungsfeld: Während das erkennende Gericht den Tätern die volle Verantwortlichkeit aufgrund freier Willensbestimmung zuerkannt hat, weisen die kriminaltherapeutischen Paradigmata ihnen die Rolle psychotherapeutischer Patienten zu, die lernen müssen, ihre „verhaltensteuernden“ Denkschemata, emotionalen Reaktionen und Handlungsmuster zu modifizieren, weil sie andernfalls Gefahr laufen, erneut von diesen kontrolliert zu werden. Die Widersprüche in den Rollenzuweisungen von strafrechtlicher und therapeutischer Seite prägen die kriminaltherapeutische Praxis. Die Frage „Kann er nicht oder will er nicht?“ zieht sich nach Art eines Leitmotivs durch den Berufsalltag der Behandler.
Das vorliegende Buch holt weit aus, um die begrifflichen und kommunikationspragmatischen Widersprüche herauszuarbeiten und einer Klärung zuzuführen. Auf der Basis einer umfangreichen Sichtung der wissenschaftlichen Erkenntnislage wird der Frage nachgegangen „Was will, macht und kann Kriminaltherapie?“ Dabei wird nicht nur die faktisch-empirische Ebene berücksichtigt, sondern auch ausführlich der strafrechtlich-philosophische und kommunikationstheoretische Rahmen diskutiert. Die Ausführungen wollen sensibilisieren für die Gefahr, dass kriminaltherapeutische Bemühungen in leerlaufende Behandlungsrituale ausarten. Aus der langjährigen Praxiserfahrung des Autors werden Empfehlungen für ein widerspruchsfreies und erfolgversprechendes Präventionskonzept abgeleitet. Zwei Analyseinstrumente sind für den philosophischen Teil des Buches zentral: der Begriff des „Freien Willens“ und des „Sprachspiels“ im Sinne Wittgensteins.
Das Buch wendet sich an Strafrechtler, forensische Psychiater und Psychologen, aber auch sonstige Berufsgruppen, die in kriminal- bzw. sozialtherapeutischen Settings arbeiten. Der Autor war mehrere Jahrzehnte als Psychologe im sozialtherapeutischen Justizvollzug tätig und – als Mann der Praxis – bemüht, die vorliegenden „Erörterungen“ möglichst allgemeinverständlich in Worte zu fassen.