Shakya-mchog-ldan, Mahapandita des Klosters gSer-mdog-can
Leben und Werk nach den tibetischen Quellen
von Volker Caumanns
Shākya-mchog-ldan (1428-1507), der „Mahāpaṇḍita des Klosters gSer-mdog-can“ (gser mdog paṇ chen), gilt westlichen Tibetologen als eine der herausragenden Gelehrtenpersönlichkeiten der tibetischen Sa-skya-Tradition. Seine Bedeutung für die Forschung gründete sich bisher vor allem auf sein umfangreiches scholastisches Werk, das Einblick in einige der zentralen Diskussionen und Debatten gewährt, welche im 15. Jahrhundert in der tibetischen Gelehrtenwelt geführt wurden. Shākya-mchog-ldan, dessen stupende Gelehrsamkeit sämtliche Bereiche des traditionellen buddhistischen Wissens umfasste, spielte in diesen Auseinandersetzungen oft eine prominente Rolle, so dass ein nicht unbeträchtlicher Teil seines Werkes als ein wichtiges Quellenkorpus für die Erforschung einer Periode der tibetischen Geistes- und Kulturgeschichte anzusehen ist, die gemeinhin als die Hochphase der einheimischen Scholastik gilt.
Weniger Beachtung hingegen schenkte man in der Tibetologie der reichhaltigen biographischen Überlieferung, die sich zu Shākya-mchog-ldan erhalten hat. Hauptquelle hierfür ist ein rnam thar, welches der Jo-nang-Meister Kun-dga’-grol-mchog (1507-1566) um die Mitte des 16. Jahrhunderts verfasste und für das er eine Vielzahl mündlicher und schriftlicher Zeugnisse verwendete, die noch auf direkte Schüler Shākya-mchog-ldans zurückgingen. Aus diesem Werk tritt uns ein Bild von Shākya-mchog-ldan entgegen, das nicht nur seine scholastischen Aktivitäten nachzeichnet, sondern ihn auch als tantrischen Meister, strikten Befolger des Vinaya, Präzeptor adliger Gabenherren und nicht zuletzt als Lehrer und Abt der ihm unterstellten monastischen Institutionen zeigt. Die Erschließung von Kun-dga’-grol-mchogs rnam thar, der sogenannten „Detaillierten Untersuchung der Biographie des Mahāpaṇḍita Shākya-mchog-ldan“, und der darin bewahrten biographischen Überlieferung steht – in Form einer kommentierten Teilübersetzung – im Mittelpunkt dieses Buches. Der biographische Hauptteil wird ergänzt durch fünf Anhänge: Anhang A enthält die tibetischen Textpassagen aus einer weiteren, erst seit Kurzem wieder zugänglichen Biographie Shākya-mchog-ldans, die – als Ergänzung zur „Detaillierten Untersuchung“ – auszugsweise übersetzt wurden. Anhang B gibt das sogenannte „Loblied der vierzig edlen Tugendfreunde“ wieder, einer Auflistung der Lehrer Shākya-mchog-ldans. Anhang C legt biographische Abrisse zweier wichtiger Lehrer Shākya-mchog-ldans vor, nämlich Don-yod-dpal (1398-1483/84) und sPyang-lung-pa gZhon-nu-blo-gros (1372-1475), über die bis dato wenig in der westlichen Sekundärliteratur zu finden war. Anhang D fasst die Entstehungsgeschichte der beiden tibetischen Kompilationen der Werke Shākya-mchog-ldans zusammen, die zu Beginn 16. bzw. des 17. Jahrhunderts in Tibet erstellt wurden, und listet die darin enthaltenen Werktitel auf. In Anhang E sind schließlich die datierten Schreiber- sowie die datierten und undatierten Druckkolophone aus Shākya-mchog-ldans Gesammelten Werken aufgeführt, die im Hauptteil des Buches systematisch herangezogen wurden.