111 Gründe, Boxen zu lieben
Von fliegenden Fäusten, menschlichen Dramen im Ring und der Poesie des Kämpfens
von Frank NussbückerBei keinem anderen Sport scheiden sich derart die Geister wie beim Boxen. Höchste Kunst, Verdichtung des menschlichen Überlebenskampfs sagen die einen, brutale Prügelei und mieses Geschäft die anderen. Für einige wenige ist Boxen die Fahrkarte aus Armut und Erniedrigung zu Ruhm und Reichtum, für andere ein Trip ganz ohne Drogen, für viele eine ganz normale Arbeit.
Zahllose Künstler aller Couleur erliegen seit jeher dem magischen Reiz des grell erleuchteten Rings, in dem zwei Menschen einander alles abverlangen, was ihre Körper, Herzen und Seelen in die Waagschale zu werfen haben. Kaum etwas erzählt mehr über den Zustand einer Gesellschaft als die Berichterstattung aus dem Boxring.
Boxen ist, erfuhr der Autor am eigenen Leib, die intensivste Unterhaltung, die zwei Menschen miteinander führen können.
EINIGE GRÜNDE Weil mich mein erster Kampf lehrte, mit meiner Angst umzugehen. Weil Ali bei der Musterung neben mir stand. Weil mir das Boxen in Liebesdingen half. Weil meine Tochter plötzlich kein Problem mehr damit hatte, dass ihr Vater k. o. ging. Weil wenige Sekunden eines Kampfes einen ganzen Roman erzählen können. Weil niemand so ehrlich ist wie ein Boxer direkt nach dem Kampf. Weil auch KZ-Häftling Nr. 9841 nicht vergessen ist. Weil »Mi Vida Loca« der poetischste und schmerzvollste aller Kampfnamen ist. Weil fliegende Fäuste manchmal für Frieden sorgen. Weil Ali auf die Zuschauer hörte statt auf seine Ecke. Weil das größte menschliche Drama in einem Boxring ausgetragen wurde. Weil der hochkarätigste Schwergewichtskampf aller Zeiten nie stattfand. Weil der Wessi dem Ossi aufs Maul haut und umgekehrt. Weil Boxen die Seele gesund machen kann. Weil westdeutsche Olympiabuch-Schreiber sich vergeblich mühten, einen kubanischen Superstar zum US-Amerikaner zu machen. Weil Bertolt Brecht einen ordentlichen Punch in den Fingern hatte. Weil Charles Bukowski der literarische Vater des Promiboxens ist. Weil Hank Chinasky niemals Promiboxer war. Weil der tiefgründigste Text übers Boxen von einer Frau verfasst wurde. Weil das Boxen aus vermeintlichen Opfern Helden macht.