Konnektivität und genetische Diversität beim Rotwild in Hessen
von Corinna KleinHessen weist per Gesetz 20 Rotwildgebiete aus, in denen sich das Rotwild frei bewegen kann. Außerhalb dieser Gebiete dürfen nur Kronenhirsche ab einem Alter von 5 Jahren die Grenzen der Gebiete ohne angeordneten Abschuss überschreiten. Auch die zunehmende Landschaftszerschneidung, vor allem durch Städte/Siedlungen, Verkehrswege und Landwirtschaft führt zum steten Rückgang an Lebensraum, Lebensraumqualität und zur Verinselung der Rotwildvorkommen. Deswegen war zu befürchten, dass Isolation und der Verlust an genetischer Vielfalt beim hessischen Rotwild bereits deutlich ausgeprägt sein könnten, wie bereits durch Voruntersuchungen angedeutet. Dieses Problem detailliert zu untersuchen und zu quantifizieren war Ziel der vorliegenden Arbeit.
Für die Bearbeitung wurden Proben von insgesamt 1291 Tiere aus den 19 wichtigen hessischen Rotwildgebieten zusammengetragen, mithilfe von 16 erprobten Mikrosatellitenmarken genotypisiert und nach allen Aspekten moderner Populationsgenetik ausgewertet. Es wurden insbesondere Tiere aus der Jagdsaison 2018/2019 untersucht.
14 der untersuchten Rotwildgebiete lassen sich in vier Rotwildgebiete zusammenfassen, innerhalb derer aktuell noch ein gewisser genetischer Austausch gegeben ist. Trotz geographischer Nähe zu den Nachbargebieten, müssen der Knüll, Krofdorfer Forst, Wattenberg-Weidelsburg, Reinhardswald und Odenwald als absolut isoliert angesehen werden.
Die genetische effektive Popualtionsgröße lag bei zehn Gebieten unter 100. Ein wissenschaftlich international anerkannter Grenzwert, unterhalb dem Populationen kurzfristig mit Inzuchtdepressionen nicht mehr zurechtkommen können. Effektive Populationsgrößen von 500 bis 1000 sind notwendig, um sich längerfristig evolutionär weiterzuentwickeln und sich an Umwelteinflüsse anpassen zu können. Keines der 19 Gebiete konnte eine effektive Populationsgröße von 500 erreichen. Allerdings gelten Berechnungen der effektiven Populationsgröße strenggenommen nur für kleinere, isolierte Populationen, sodass keine endgültige Aussage für die großen Gebiete mit noch vorhandenem genetischem Austausch getroffen werden können. Das Vorkommen der Unterkieferverkürzung Brachignatia inferior seit Dezember 2018, inzwischen in den Gebieten Wattenberg-Weidelsburg, Knüll, Odenwald und Korfdorfer Forst unterstreicht die vorhandenen Inzuchtgrade.
Übereinstimmend mit der aktuellen Auffassung der Internationalen Unit for the Conservation of Nature reicht das häufige Vorkommen einer Art und deren Lebensräume offensichtlich nicht aus, um die Existenz insbesondere der kleineren Populationen langfristig zu sichern, wenn deren genetische Vielfalt durch Isolation nicht erhalten werden kann. Die Relevanz dieser Aussage erweist sich mit Blick auf die Situation der Rotwildpopulation ‚Hasselbusch‘ in Schleswig-Holstein, die aufgrund massiver Inzuchtdepressionen langfristig nicht mehr gesund erhalten werden kann. Daher müssen in den Regionen, in denen die Umsetzung waldbaulicher Konzepte durch Rotwildpopulationen erschwert werden, jagdliche und Managementmaßnahmen getroffen werden, die auch die in vorliegender Studie wissenschaftlich dargelegten Situationen des Rotwilds berücksichtigen.Hesse designates by law 20 red deer management areas in which the red deer can move freely. Outside these areas, only crowned deer over 5 years of age may cross the boundaries of the areas without being ordered to be shot. The increasing landscape fragmentation, especially by cities/settlements, traffic routes and agriculture lead to the steady decrease of habitat and habitat quality and to the isolation of the red deer populations. Based on the results of preliminary studies, the present study aimed to characterize genetic diversity and connectivity within and between Hessian red deer populations.
Samples from 1291 animals from the 19 important red deer management areas in Hesse were collected, genotyped based on 16 microsatellite markers and analysed. In particular, animals from the 2018/2019 hunting season were studied.
14 of the examined red deer management areas could be combined into four red deer regions, because there is still genetic exchange within these regions. Despite the geographical proximity to neighboring areas Knüll, Krofdorfer Forst, Wattenberg-Weidelsburg, Reinhardswald and Odenwald must be considered as isolated from the remaining red deer management areas.
The genetic effective population size was below 100 in ten of the red deer populations. This is an internationally and scientifically recognized threshold below which populations cannot cope with inbreeding depression in the short term. Effective population sizes of 500 to 1000 are necessary for long-term evolutionary development and adaptation to environmental influences. None of the 19 red deer populations exceeded this long-term threshold by itself. However, calculations of effective population size strictly apply only to smaller, isolated populations, so no definitive statement can be made for the larger red deer management areas where genetic exchange still exists. The occurrence of cases with mandibular shortening (Brachignatia inferior) in the areas Wattenberg-Weidelsburg, Knüll, Odenwald and Korfdorfer Forst starting in December 2018, together with the outlined inbreeding levels are indications for existing inbreeding depressions.
Consistent with the current view of the International Union for the Conservation of Nature, the common occurrence of a species and its habitats is obviously not sufficient to ensure the long-term existence of populations, if the genetic diversity of subpopulations cannot be maintained by isolation.
The relevance of this statement is proven with regard to the situation of the red deer population ‘Hasselbusch’ in Schleswig-Holstein, which can no longer be kept healthy in the long term due to massive inbreeding depression. Therefore, in regions where the implementation of silvicultural concepts is hampered by red deer populations, hunting and management measures must be taken, which also take into account the situation of red deer scientifically presented in this study.