Michel Foucaults Weg in die Antike
von Anja TrebbinIn den Jahren 2004 und 2005 sind mehrere Vorlesungen Michel Foucaults sowie viele seiner Interviews erstmalig in deutscher Sprache - oder überhaupt erst in schriftlicher Form - erschienen. Damit wird es möglich, die Denkbewegung, die Foucault von 1976 bis 1984 vollzogen hat, wesentlich präziser nachzuzeichnen.
Der Wille zum Wissen (1976), so der Titel des ersten Bandes der Reihe Sexualität und Wahrheit, sollte eine Untersuchung dazu einleiten, wie sich die Macht via Sexualität auf das menschliche Leben bezieht. „Sexualtät“ erscheint hierbei nicht als eine authentische Äußerung des Individuums, sondern als Produkt einer dominanten Macht, die das individuelle Verhalten in Schablonen zwängt und die diffusen Lüste am Maßstab sozialer Normen ausrichtet. Man erwartete, dass Foucault in den Folgebänden diesen Ansatz fortführen würde.
Doch 1984 veröffentlicht Foucault, nach einer immerhin achtjährigen Pause, ganz andere Bücher. Er befasst sich dort nicht mehr mit der abendländischen Neuzeit, sondern mit der griechisch-römischen Antike. Die politische Interpretation im Sinne von Machtdispositiven wird ersetzt durch einen ethischen Deutungsfilter, gleichbedeutend mit dem Versuch, eine Form der Selbstgestaltung vor dem Hintergrund der Antiken „Ästhetik der Existenz“ zu entwerfen.
In den Bänden zwei und drei von Sexualität und Wahrheit bezieht sich Foucault in einer Weise auf die klassische und die römisch-hellenistische Antike, die im Hinblick auf sein früheres Werk diverse Fragen aufwirft. Denn mit Beginn der achtziger Jahre gelingt Foucault mit seiner Untersuchung der antiken Selbsttechnik der Entwurf einer reflektierten Subjektivität. Das Subjekt erscheint jetzt nicht mehr als primär fremdkonstituiertes, sondern bildet sich anhand geregelter Praktiken selbst heran. Die Sexualität, zuvor an den Einfluss von Wissens- und Machtgefügen gekoppelt, offenbart sich nun als ein wichtiger Gestaltungsbereich der Lebenstechnik. Wie ist diese Neuorientierung zu erklären?
Zum einen erkannte Foucault, dass er, um das neuzeitliche Begehrenssubjekt zu verstehen, historisch wesentlich weiter zurückgehen musste, als bis zum frühen Christentum. Seine Forschungen ergaben nämlich, dass sich die vorchristliche und die christliche Antike im wesentlichen nicht etwa durch die Einführung von Verboten unterschieden, sondern vielmehr durch veränderte Formen des Selbstbezugs. Zum anderen jedoch wurde für Foucault in seinen letzten Lebensjahren die Frage nach konkreten Widerstandsoptionen immer wichtiger. Seine bisherige Konzeption von „Macht“ und „Subjekt“ jedoch machten es schwierig, Opposition zu denken, die nicht nur Korrelat der Macht sind.
Doch auch in den achtziger Jahren generiert Foucault kein a-historisches Subjekt, das sich in einer illusionären Sphäre eines gesellschaftsfreien Raumes selbst erschaffen würde. Foucault vergisst keineswegs die repressive Wirkung sozialer Normierungsverfahren. Immer wieder wurde Foucault vorgeworfen, er habe sich in seinen späten Schriften einem unpolitischen Selbstkult verschrieben, der dem Einzelnen den Weg zu persönlichem Glück durch Rückzug aus der gesellschaftlichen Sphäre empfehle. Dagegen zeigt die vorliegende Arbeit, dass er sich keineswegs von der Politik abwendet. Ganz im Gegenteil: Nun sieht Foucault Möglichkeiten der Macht etwas entgegenzusetzen, was von anderer Qualität ist, als sie selbst. Das Konzept einer „Lebensform“ entwickelt er vor allem am Beispiel des Kampfes für Homosexualität. Die Vorwürfe des „Privatismus“ und „Elitarismus“ entkräften sich anhand einer präzisen Lektüre der „späten“ Schriften Foucaults von selbst. Foucaults Suche nach Ansätzen für eine moderne Form der (Selbst-)Ethik ist nicht gleichzusetzen mit einem Rückzug aus der Politik. Die kritische Untersuchung seiner Widerstandsideen soll hier das Abwägen der Chancen einer „Foucaultschen Politik“ vermitteln.