Inseln
Wunschland, Wlldnis, Weltferne
von Thomas KoebnerDies Buch widmet sich der erzählerischen ‚Abbildung‘ wirklicher und erfundener Inseln und Inselbewohner in der Literatur und im Film. Wer von Inseln spricht, will sich selten mit botanischen oder zoologischen Exkursen zufrieden geben, sondern richtet den Blick ausdrücklich auf ihre Bewohner – selbst wenn es nur ein einzelner Mensch ist und der zufällig Robinson heißt. Welche Varianten der Existenz-Bedrohung und des Überlebens, welche Praktiken der Natur-Beherrschung erschließen die Insel-Erzählungen? Wie kommen die Bewohner auf einem begrenzten und oft beengenden Areal untereinander und mit Fremden zu Recht? Gibt es ‚inseltypische‘ Konflikte und Handlungsverläufe? Spiegeln sich globale Entwicklungen im Kleinen der Insel-Affären? Welche Ansichten von Gesichtern und Körpern, welche Blicke auf die Landschaft wählen Literatur und Film?Wenn hier von Inseln die Rede ist, sind ziemlich kleine Parzellen festen Landes inmitten des Meers gemeint, mehr oder weniger schutzlos dem Anprall von Wind und Wellen ausgesetzt. Mehrheitlich waren sie dank ihrer Isoliertheit in vergangenen Jahrhunderten von jenem ‚Prozess der Zivilisation‘ verschont geblieben, der in den großen Städten der Nationalstaaten den ‚Fortschritt‘ vorantrieb. Die ‚romantische‘ Vermutung, auf diesen Inseln sei der ursprüngliche ‚Naturzustand‘ vom Anfang des Menschengeschlechts erhalten geblieben, erwies sich jedoch als Irrtum.
Die Sehnsucht zivilisationsmüder Europäer und Amerikaner fixierte sich seit dem 18. Jahrhundert auf die tropischen und subtropischen Inseln des Pazifik, dank der Berichte von Weltumseglern wie Louis Antoine de Bougainville oder James Cook: Zwischen Hawaii, Tahiti und Samoa herrschte, so wurde es propagiert, eine erotische Freizügigkeit, eine Lebenslust, die die ‚teilnehmenden‘ Seefahrer von ihrem Frondienst, von der durch ihre Zivilisation verordneten asketischen Triebverdrängung zu entlasten schien. Der Sand des Strandes unter den Füßen, die wehenden Kokospalmen über dem Kopf, ein weiter Himmel, ein ebenso weites Meer förderte Regressionswünsche: Der Sprung zurück in ein archaisch einfaches Leben, das Hinausfallen aus der eigenen Geschichte und Kultur, verhießen eine Art Wiedergeburt fern von der eigenen Welt. Schiffbrüchige indes, die in letzter Not eine Küste erreichten, zum Beispiel Robinson Crusoe, mussten in der Wildnis der Insel zu überleben versuchen. Bisweilen erwies sich das Eiland als Ödland (wie für Ariadne), oder lang ertragene Einsamkeit trieb die Gestrandeten in den Wahnsinn.
Das vorliegende Panorama widmet sich der erzählerischen ‚Abbildung‘ wirklicher und erfundener Inseln und Inselbewohner in der Literatur und im Film. Wer von Inseln spricht, will sich selten mit botanischen oder zoologischen Exkursen zufrieden geben, sondern richtet den Blick ausdrücklich auf ihre Bewohner – selbst wenn es nur ein einzelner Mensch ist und der zufällig Robinson heißt. Welche Varianten der Existenz-Bedrohung und des Überlebens, welche Praktiken der Natur-Beherrschung erschließen die Insel-Erzählungen? Wie kommen die Bewohner auf einem begrenzten und oft beengenden Areal untereinander und mit Fremden zu Recht? Gibt es ‚inseltypische‘ Konflikte und Handlungsverläufe? Spiegeln sich globale Entwicklungen im Kleinen der Insel-Affären? Welche Ansichten von Gesichtern und Körpern, welche Blicke auf die Landschaft wählen Literatur und Film?
‚Fundstücke‘: Der Begriff betont, dass es nicht darauf angekommen ist, vollständig zu sein. Die Auswahl sammelt historische und aktuelle Zeugnisse: Berichte, Novellen und Romane, sogenannte dokumentarische und Spielfilme. Diese Zeugnisse schildern Inseln in jeglicher Tonart: realistisch oder surrealistisch, grüblerisch-philosophisch oder satirisch-polemisch, subtil oder verstiegen, nüchtern oder enthusiastisch, verspielt oder apokalyptisch. Überlegungen ethnologischer und kulturgeographischer Forschung werden am Rande, dennoch wissbegierig, aufgegriffen. Die indigenen Einwohner der Inseln kommen oft nur in der Übersetzung durch europäische oder amerikanische Autoren zu Wort, zwangsläufig, da sich auf eine autochthone schriftliche Überlieferung nicht zurückgreifen lässt und Selbstdarstellungen der Einheimischen nur allmählich am Horizont sichtbar werden.